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Illustration: Katrin Friedmann

Lesezeit: 9 min

Sexuelle Befriedigung: wissenschaftlich betrachtet

*Übersetzung: Clara Müller-Kühn

Ein glückliches Sexualleben ist ein wichtiger Teil eines erfüllten Lebens

Was ein glückliches Sexualleben bedeutet, ist subjektiv, da die sexuellen Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse von Mensch zu Mensch verschieden sind und sich mit dem Alter verändern. Manche Menschen wollen täglich Sex haben, während andere damit zufrieden sind, ihr Leben lang keinen Sex zu haben.

Die Subjektivität der sexuellen Befriedigung ist ein wichtiger Aspekt bei der Erforschung und Diagnose sexueller Dysfunktionen. In der Umfrage der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Lebensqualität sind die vier Fragen zum Sexualleben der Teilnehmer:innen alle subjektiv (1). Obwohl etwa 4 von 10 Frauen angeben, irgendeine Art von sexueller Dysfunktion aufzuweisen, erklärt nur etwas mehr als jede zehnte, dass sich ihre sexuelle Dysfunktion negativ auf ihr Leben auswirkt (2-5), was darauf hindeutet, dass ein befriedigendes Sexualleben nicht gleichbedeutend mit einem "perfekten" Sexualleben ist.

Trotz dieser Subjektivität gibt es biologische, psychologische, physische, beziehungsrelevante sowie soziale und umweltbezogene Faktoren, die sich positiv oder negativ auf unser Sexualleben auswirken können. Einige dieser Faktoren sind veränderlich, während andere, wie das Altern, es nicht sind (2-4). Unabhängig davon, wie stark wir diese Faktoren kontrollieren, kann das Wissen darüber, dass wir unsere Sexualfunktion nicht immer zu 100 % bewusst steuern können, die Stigmatisierung rund um dieses Thema verringern und Menschen dazu ermutigen, bei Problemem mit ihrer sexuellen Gesundheit ärztlichen Rat einzuholen.

4.8

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Sexuelle Anatomie und sexuelle Befriedigung

Unser Wissen über das weibliche Fortpflanzungssystem in Bezug auf die sexuelle Befriedigung ist unvollständig. Es besteht allgemein Einigkeit darüber, dass die Stimulation der Klitoris und der Nervenenden im weiblichen Reproduktionstrakt zu Lust und zum Orgasmus führen kann, doch die Existenz und Lage des Gräfenberg-Punkts, besser bekannt als "G-Punkt", ist in der Wissenschaft umstritten (6-8).

Es gibt wenige Erklärungen darüber, was der G-Punkt ist. Einige Forscher:innen legen nahe, der G-Punkt sei ein Bündel von Nervenenden, die mit dem Pudendusnerv verbunden sind, beziehungsweise ein hochsensibler Bereich, der Empfindungen innerhalb der Vagina, an der Klitoris und innerhalb der Harnröhre auslöst (6,7). Da sich die Klitoris während der Erregung und beim Sex bewegen kann, vermuten einige Wissenschaftler:innen wiederum, dass der G-Punkt eigentlich ein Teil der Klitoris ist oder dass die Klitoris aufgrund ihrer Bewegung beim penetrativen Sex stimuliert werden kann (6). Da die Empfindlichkeit der Nerven und Muskeln bei den meisten Frauen sehr wahrscheinlich unterschiedlich ist, befindet sich der G-Punkt nicht bei jeder Frau an der gleichen Stelle beziehungsweise ist nicht bei jeder Frau vorhanden (6, 7).

Da jeder Mensch unterschiedlich empfindlich auf körperliche Berührungen und Stimulationen reagiert, kommt es auch vor, dass Menschen sexuell stimuliert werden, wenn sie an anderen Körperteilen als ihren Genitalien berührt werden.

Kategorien der Sexualfunktion

In Forschung und Medizin werden sexuelle Beschwerden für gewöhnlich in vier Hauptkategorien unterteilt:

  • Lust (bezieht sich auf das Interesse an Sex)

  • Erregung (bezieht sich auf physische Veränderungen wie Lubrikation und emotionale Veränderungen, die bei Menschen auftreten, wenn sie an Sex denken oder ihn ausüben)

  • Orgasmus/Befriedigung

  • Körperliche Schmerzen (2, 4-6)

Je nach Forschungsschwerpunkt können die Kategorien noch spezifischer ausfallen. Zum Beispiel sind Forscher:innen, die körperliche Schmerzen im Zusammenhang mit Sex untersuchen, in der Regel daran interessiert, wo und wie die Schmerzen entstehen (6), da entsprechende Erkenntnisse zu einer besseren Behandlung oder einem besseren Verständnis der zugrundeliegenden Ursache führen können.

Angesichts der Häufigkeit sexueller Funktionsstörungen (etwa 4 von 10 Frauen) setzt die Diagnose einer sexuellen Dysfunktion voraus, dass die Störung die Lebensqualität einer Person ernsthaft beeinträchtigt (2).

Biologische Faktoren

Das Alter hat einen starken Einfluss auf unser Sexualleben (2-5, 7-9). Mit zunehmendem Alter berichten Menschen vermehrt über sexuelle Funktionsstörungen, insbesondere in der Perimenopause (den Wechseljahren) und der Menopause (2-5, 7-9). Dieser Anstieg an sexuellen Dysfunktionen hängt sehr wahrscheinlich nicht nur mit hormonellen Veränderungen zusammen, sondern auch mit einem sich verschlechternden Gesundheitszustand (2-5, 7-9).

Das Alter beeinträchtigt nicht zwangsläufig alle Aspekte der sexuellen Funktionsfähigkeit. In einer Studie mit über 2.600 iranischen Frauen waren Frauen im Alter von 50-60 Jahren im Vergleich zu Frauen im Alter von 20-29 Jahren fast fünfmal häufiger von Erregungsstörungen betroffen (5). In derselben Studie gaben jedoch Frauen im Alter von 50-60 Jahren nur etwa halb so häufig an, an einer schmerzhaften Dysfunktion zu leiden, wie Frauen im Alter von 20-29 Jahren (5). Diese Ergebnisse könnten durch soziokulturelle Unterschiede zwischen den Altersgruppen bedingt sein, könnten aber auch ein Indiz für positive körperliche Veränderungen sein, die mit dem Alter auftreten.

Der Menstruationszyklus kann das Sexualleben einer Person ebenfalls beeinflussen. In einer Studie mit 43 heterosexuellen Frauen fanden die Forscher:innen heraus, dass die Teilnehmenden mit zunehmendem Progesteronspiegel, welcher anhand von Speichelproben nachgewiesen wurde, angaben, ihr sexuelles Verlangen nach ihren Partnern nehme ab (10). Dieses Ergebnis ergibt biologisch gesehen einen gewissen Sinn, da der Progesteronspiegel nach dem Eisprung ansteigt, d. h., zu einem Zeitpunkt, an dem eine Empfängnis sehr unwahrscheinlich ist, sodass der Körper einer Person möglicherweise nicht so sehr darauf eingestellt ist, Sex zu haben, wie in anderen Zyklusphasen.

Psychologische, körperliche und medikamentöse Faktoren

Es sind viele psychologische, körperliche und medikamentöse Faktoren bekannt, die die sexuelle Funktionsfähigkeit beeinträchtigen können. Dazu gehören:

  • Verletzungen des Nervensystems (z. B. an der Wirbelsäule)

  • Verletzungen des Reproduktionstrakts

  • Depressionen

  • Antidepressiva, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

  • Operationen an Fortpflanzungsorganen wie eine Hysterektomie (Gebärmutterentfernung)

  • Diabetes

  • Harninkontinenz

  • Endometriose

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen

  • Bluthochdruck

  • Übergewicht und ein großer Taillenumfang

  • Hormonelle Verhütungsmittel

  • Körperliche Aktivität (2, 4, 6, 9, 11–16, 20–22)

Einige Faktoren, die sich negativ auf die Sexualfunktion auswirken, sind nicht veränderbar, andere wiederum lassen sich mit Verhaltensänderungen oder medizinischer Hilfe beheben. Zum Beispiel beeinflussen einige Antidepressiva die sexuelle Funktionsfähigkeit weniger stark als andere und die Behandlung einer Depression kann eine sexuelle Dysfunktion auch trotz SSRI-Einnahme verbessern (17, 18). In ähnlicher Weise hat sich gezeigt, dass bestimmte Endometriosetherapien die durch die Erkrankung verursachte sexuelle Dysfunktion verringern, während andere weniger wirksam sind (19).

Eine gesteigerte körperliche Aktivität wirkt sich nachweislich positiv auf die sexuelle Funktionsfähigkeit aus (5, 12, 13). In einer Studie mit an Diabetes erkrankten Frauen verringerte jedes Metabolische Äquivalent (MET) das Risiko einer sexuellen Dysfunktion signifikant um 9 % (13). Und in der bereits weiter oben genannten iranischen Studie klagten Frauen, die angaben, mehrmals pro Woche zu trainieren, doppelt so häufig über eine sexuelle Dysfunktion als diejenigen, die angaben, täglich zu trainieren (5). Diejenigen, die angaben, selten/nie Sport zu treiben, wiesen ein dreimal so hohes Risiko für eine sexuelle Funktionsstörung auf (5).

Hormonelle Verhütungsmittel

In Forschungskreisen ist umstritten, ob die Verwendung hormoneller Verhütungsmittel mit einem verminderten sexuellen Interesse einhergeht. Auf die meisten Menschen scheint dies jedoch nicht zuzutreffen (20-22).

In einer Studie über den Zusammenhang zwischen sexuellen Funktionsstörungen und hormoneller Empfängnisverhütung gaben etwa 15 % der Anwender:innen von kombinierten oralen Kontrazeptiva an, ihr Verhütungsmittel beeinträchtige ihre Sexualfunktion, wobei diese Wirkung hauptsächlich auf Pillen mit niedrigerem Östrogenanteil zurückgeführt wurde. Die meisten Personen bemerkten jedoch keine Veränderung ihrer Sexualfunktion, weder positiv noch negativ (20).

Bei manchen Menschen kann der Schutz vor einer Schwangerschaft, der durch die hormonelle Verhütung gewährleistet wird, das sexuelle Empfinden verbessern, weil es ihnen ein sicheres Gefühl gibt.

In einer randomisierten Kontrollstudie berichteten Frauen, denen entweder ein kombiniertes orales Kontrazeptivum oder ein hormoneller Vaginalring verschrieben wurde, nach jeweils drei und sechs Monaten der Anwendung von einer verbesserten sexuellen Funktionsfähigkeit in mehreren Kategorien im Vergleich zu Frauen, die keine hormonelle Verhütungsmethode anwendeten (21). Statistisch gesehen berichteten Frauen, die eines der beiden Verhütungsmittel anwendeten, weniger ängstlich zu sein und gleichzeitig öfter die Initiative zu ergreifen sowie häufigere und intensivere Orgasmen zu haben als Frauen, die keine hormonelle Verhütungsmethode verwendeten (21).

Einige Studien kamen zu gegenteiligen Ergebnissen, wobei die Ergebnisse weniger eindeutig waren. In einer Studie mit über 1.000 Frauen fanden Wissenschaftler:innen heraus, dass Menschen, die hormonell verhüten, statistisch gesehen häufiger von einer beeinträchtigten Sexualfunktion betroffen sind, inklusive weniger Orgasmen und verminderter Erregung. Allerdings machten die Autor:innen keine Angaben dazu, wie groß die Unterschiede zwischen diesen Kategorien sind, wenn man wichtige sekundäre Faktoren, wie das Alter oder die Frage nach festen Sexualpartner:innen hinzuzieht, wodurch eine Beurteilung schwierig ist (22).

Äußere Faktoren

Äußere Faktoren wie die persönliche Lebensgeschichte oder die Frage nach Partner:innen können das Sexualleben eines Menschen ebenfalls beeinflussen. Diese Einflüsse können unmittelbar sein oder mittelbar auf Faktoren wie eine Depression oder die allgemeine Gesundheitsverfassung zurückzuführen sein.

Es hat sich gezeigt, dass eine Missbrauchsgeschichte sich negativ auf die sexuelle Funktionsfähigkeit auswirken kann, wobei das nicht auf alle Frauen zutrifft (4, 12, 23, 24). In einer Studie zeigte sich, dass Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden waren, häufiger negative Angaben machten, wenn sie zu den Themen Sexualität und Erregung befragt wurden (23). Umgekehrt wurde in einer Studie mit Frauen, die Sex mit Frauen haben (FSF) kein Zusammenhang zwischen sexuellen Übergriffen und sexuellen Dysfunktionen gefunden – und zwar unabhängig vom Geschlecht der übergriffigen Person –, obwohl FSF im Vergleich zu heterosexuellen Frauen zwei- bis dreimal häufiger Opfer von Übegriffen werden (24).

Partner:innen haben einen starken Einfluss auf das Sexualleben einer Person

In der bereits erwähnten Studie aus dem Iran gaben mehr als 7 von 10 Frauen mit sexueller Dysfunktion an, die Ursache für ihre Dysfunktion sei auf zwischenmenschliche Probleme mit ihrem Partner zurückzuführen. Mehr als 80 % der Befragten berichteten, dass ihre Funktionsstörung mit den sexuellen Fähigkeiten ihres Partners zusammenhänge (5). In ähnlicher Weise fand eine Studie unter italienischen heterosexuellen Frauen mit sexueller Dysfunktion heraus, dass das Interesse des Partners einer Frau ihre Sexualität stärker beeinflussen könnte als jegliche sexuelle Dysfunktion (25).

Bei Frauen, die Sex mit Frauen haben (FSF) sind die Auswirkungen auf ihr Sexualleben zum Teil anders als bei denen, die Sex mit Männern haben. Eine Studie mit mehr als 1.500 FSF fand heraus, dass viele Faktoren, die mit einer Störung der Sexualfunktion assoziiert werden, darunter das Alter, Diabetes und die Menopause, nicht mit sexuellen Dysfunktionen in Zusammenhang stehen (24). Obwohl diese Faktoren FSF möglicherweise in irgendeiner anderen Weise körperlich beeinträchtigen, kann es den Autor:innen zufolge sein, dass FSF im Vergleich zu Frauen, die Sex mit Männern haben, andere Formen von Sex praktizieren und ihre sexuellen Aktivitäten daher weniger von den Nebenwirkungen von Diabetes oder der Menopause beeinflusst werden (25). Dieser Rückschlus zeigt, dass die Subjektivität in der Forschung zu sexuellen Funktionsstörungen eine große Rolle spielt und dass sexuelle Dysfunktion nicht unbedingt sexuelle Unzufriedenheit bedeutet.

Wenn du mit deiner sexuellen Funktionsfähigkeit unzufrieden bist, solltest du dich ärztlich beraten lassen. Sexuelle Dysfunktionen sind weit verbreitet und es ist normal, dass es im Laufe des Lebens zu Veränderungen der Sexualfunktion kommt.

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