Bisexualität: Fakten und weitverbreitete Irrtümer
Zum besseren Verständnis des "B" in LGBTQIA+
*Übersetzung: Judith Quijano
I war immer schon bisexuell. Auch wenn ich – wie viele Menschen – als heterosexuelle und weibliche Person sozialisiert wurde, fand mein "sexuelles Erwachen" (bzw. die ersten Erfahrungen der Bewunderung, Verliebtheit und sexueller Lust) während meiner Kindheit in Verbindung mit dem weiblichen Geschlecht statt. Zwar war ich mir gleichzeitig meiner Anziehung zu Jungen bewusst, doch wegen meiner heterosexuellen Sozialisierung maß ich meiner Faszination gegenüber Frauen und dem Weiblichen nur wenig Bedeutung bei.
Nach mehreren Jahren und weiteren unbemerkten Momenten des "Erwachens" bemerkte ich, dass ich mich vielleicht dafür interessieren könnte, mit einer Frau intim zu sein. Zu Beginn wagte ich keine Versuche. Als ich mich nicht heterosexuell verknallte, fühlte ich mich von meinem Schwarm eingeschüchtert und buga* für sie. Als ich männliche Partner hatte, stellten sie fest, dass ich auch Frauen mochte, jedoch sprachen wir nie direkt darüber. Schließlich hatte ich mit Cis-Frauen und Menschen außerhalb des binären Genderspektrums meine ersten (sexuellen und emotionalen) nicht-buga-Beziehungen. Erst nach diesen Erfahrungen sagte ich endlich zu mir selbst, dass ich mich als bisexuell bezeichnen könne.
(*Buga ist ein in Mexiko von der LGBTQIA-Community verwendeter Begriff, der heterosexuelle Menschen bezeichnet.)
Heutzutage bin ich vorsichtig, mit anderen Menschen über meine Bisexualität zu sprechen, da Biphobie (der Hass und die Diskrominierung gegenüber bisexuellen Menschen) leider ein ernst zu nehmendes Phänomen ist (1). Aufgrund der Tatsache, dass bisexuelle Identitäten vielmehr eine Graustufe im Schwarz-Weiß-Spektrum darstellen bzw. heterosexuell oder homosexuell umfassen, sind bisexuelle Menschen vonseiten beider Communities häufig Diskriminierung, Vorurteilen oder Unsichtbarkeit ausgesetzt.
Biphobie kann sich in unabsichtlichen Witzen, in mangelndem Glauben oder offen in Beleidigungen äußern. Diese Haltungen beeinflussen das psychische und emotionale Wohl bisexueller Menschen. Das gilt insbesondere für jüngere bisexuelle Menschen, die im Vergleich zu Hetero- und Homosexuellen (Schwule und Lesben) häufiger unter psychischen Problemen leiden (Angststörung, Depression, Stress, höhere Suizidraten) (2).
In vielen Fällen resultiert Biphobie aus mangelnder Aufklärung. Im Folgenden erfährst du mehr über die häufigsten Fragen, Mythen und Fakten zum Thema Bisexualität.
Was genau ist Bisexualität?
Bisexualität ist eine Form der sexuellen Orientierung. Die sexuelle Orientierung bezieht sich auf die Menschen, zu denen wir uns hingezogen fühlen (gefühlsbezogen, sexuell, emotional). Beispiele für sexuelle Orientierungen sind Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Asexualität, Pansexualität und andere.
Eine bisexuelle Orientierung zeichnet sich dadurch aus, dass eine Person sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlt (3). Es handelt sich um ein fließendes und offenes Konzept, das von unterschiedlichen Menschen, die sich selbst als bisexuell bezeichnen, unterschiedlich gelebt wird.
Nicht alle Menschen definieren ihre Bisexualität auf die gleiche Weise und nicht alle Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen, bezeichnen sich als bisexuell.
Ist Bisexualität nur eine Phase?
Nein. Es ist normal, dass viele homosexuelle Menschen eine Erkundungsphase haben, in der sie herausfinden, zu wem sie sich angezogen fühlen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Bisexualität immer eine Vorstufe zur Homosexualität ist (2). Für viele Menschen ist die Anziehung zu Menschen mehrerer Geschlechter eine ernste und stabile Präferenz (2).
Bisexuell zu sein bedeutet nicht immer, dass eine Anziehung zu mehr als einem Geschlecht gleichmäßig 50-50 oder sogar gleichbleibend 40-60 aufgeteilt ist. Für manche Menschen bedeutet Bisexualität meist die (nicht ausschließliche) Anziehung zu einem Geschlecht (3). Dann gibt es Menschen, deren Anziehung sich mit der Zeit je nach Kontext verändert (2). Diese fließende Eigenschaft wird – zumindest zu Beginn – von monosexuellen Orientierungen nicht erwartet.
Diese Arten von Irrglauben wurden von der wissenschaftlichen Forschung genährt. Viele Studien zum Thema Bisexualität haben sich auf monosexuelle Perspektiven fokussiert (heterosexuell und/oder homosexuell) und die Ergebnisse so verzerrt, dass sie die Erfahrungen von bisexuellen Menschen falsch darstellen (2). Des Weiteren wurde fälschlicherweise vorgelegt, dass Bisexualität eine unvollständige Orientierung sei, so, als wäre sie lediglich ein Übergang zur Homosexualität (4).
Mögen bisexuelle Menschen "beides", weil ihre sexuelle Lust unstillbar ist?
Nein. Die Orientierung einer Person definiert nicht ihre sexuelle Lust. Bisexualität allein macht einen Menschen nicht promiskuitiv, untreu oder nicht vertrauenswürdig. Dieser Mythos ist ein Produkt des Monosexismus: der Glaube, dass Menschen nur eine sexuelle Identität und nur eine sexuelle Verhaltensweise gegenüber einem Gender oder definierten Geschlecht haben sollten (1).
Der Monosexismus geht darüber hinaus davon aus, dass Monogamie die Norm sei (1). Indem Monosexismus als soziale Norm durchgesetzt wird, die bei allen Menschen Anwendung findet, wird (unbewusst oder indirekt) die Überzeugung genährt, dass eine andere, fließendere Sexualität eine Gefahr oder eine Anomalie darstellen könnte, die schwerer zu kontrollieren ist.
Die Annahme, dass Bisexualität eine anormale Präferenz ist oder dass bisexuelle Menschen keine Selbstkontrolle haben, kann falsche Narrative schaffen, die diese Orientierung als hypersexualisiert erklären. Das kann Menschen zu dem Glauben verleiten, dass Bisexuelle ihre Orientierung "wählen", um mehr Optionen bei der Wahl potentieller Partner:innen zu haben. Es ist schädlich, sexuelle Fantasien ohne die Zustimmung bisexueller Menschen (oder Personen anderer Orientierungen) auf diese zu projizieren – so, als wären sie lediglich ein Instrument zur Befriedigung von Fantasien Anderer.
Nach meiner Erfahrung ist es sehr irritierend, wenn Menschen davon ausgehen, dass Bisexualität mit der Möglichkeit gleichzusetzen ist, zu "allem" bereit zu sein.
Bin ich bisexuell, wenn ich mich auch zu Transgender- und nichtbinären Menschen hingezogen fühle?
Allgemein gesagt: Ja. Manche Menschen denken, dass der Präfix "bi" bedeutet, dass Bisexualität allein die Anziehung zu zwei Cis-/binären Geschlechtern ("Mann" oder "Frau") umfasst. So gibt es in der Tat Menschen, die ihre Orientierung auf diese Weise ausleben, jedoch kann Bisexualität (bzw. die Anziehung zu Menschen von mehr als einem Geschlecht) auch als Anziehung gegenüber Personen mit Genderidentitäten begriffen werden, die weit abseits des binären und Cis-Gender-Spektrums liegen.
Vor diesem Hintergrund gilt zu beachten, dass sich nicht alle Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen, als bisexuell bezeichnen. Das kann viele Gründe haben (Stigmatisierung, Kultur, mangelnder Zugang zu Informationen usw.). Es gibt nicht-monosexuelle Orientierungen wie z. B. Pansexualität (die Anziehung zu Menschen unanhängig von ihrer Genderidentität), deren Definitionen denen von Bisexualität mitunter stark ähneln (3). In diesen Fällen ist die Entscheidung, sich selbst als bisexuell, pansexuell oder anders zu bezeichnen, vielmehr eine persönliche Frage, die davon abhängt, wie wir uns fühlem und wie wir uns individuell definieren.
Höre ich auf, bisexuell zu sein, wenn ich eine romantische Beziehung mit einer Person des "anderen" Geschlechts eingehe?
Nein. Dieser Mythos ist auf den Irrglauben zurückzuführen, dass Bisexualität lediglich eine "Experimentierphase" sei, bevor es "ernst" werde und die Person zu heterosexuellen Beziehungen zurückfinde (das gilt häufig für Personen, die als Frauen sozialisiert wurden) (5). Es ist zudem möglich, in einer monosexuellen Beziehung zu sein, in der jede Person ihre eigene sexuelle Orientierung hat.
Es gibt verinnerlichte biphobische Gefühle gegenüber bisexuellen Menschen, wenn diese entscheiden, eine romantische Beziehung einzugehen, die als monosexuell eingestuft werden kann. Diese Gefühle sind vergleichbar mit der Angst, dass ein Partner monosexueller Orientierung die Bisexualität der anderen Person nicht verstehen könnte (2). In anderen Fällen ist es für andere Personen (Familie, Freund:innen, soziale Kreise) einfach, davon auszugehen, dass die Orientierung bisexueller Personen sich je nach aktuellem:r Partner:in verändert oder verschwindet (1).
Auch wenn sich die sexuelle Orientierung jedes Menschen im Leben verändern kann, ist es viel gesünder, wenn diese Entscheidungen individuell, ohne biphobische Stereotypen und ohne den Druck der Wahrnehmungen Anderer getroffen werden.
Kann ich bisexuell sein, auch wenn ich noch keinen Sex oder eine Beziehung außerhalb des heteosexuellen Spektrums hatte?
Natürlich! Niemand ist verpflichtet, seine Bisexualität zu "beweisen". Es genügt, sich darüber im Klaren zu sein, dass die sexuelle Orientierung einer Person bisexuell sein kann. Unsere sexuelle Orientierung ist nicht für den Rest unseres Lebens in Stein gemeißelt. Daher ist es vollkommen legitim, eine Erkundungsphase zu erleben, Fragen zu stellen, ohne sofort "eine Entscheidung" für den Rest unseres Lebens zu treffen oder unsere Orientierung direkt klar mit einem Label zu definieren.
Nicht heterosexuelle Erfahrungen sexueller, gefühlsbezogener oder sozialer Art werden häufig durch den Kontext, in dem wir Leben, von unseren sozialen oder familiären Beziehungen, durch die Komplexität unserer Vorlieben, durch unsere individuellen Bedürfnisse, durch den Zugang zu (oder Mangel an) verschiedenen sexuellen Orientierungen und Kulturen sowie durch eine sichere Umgebung ermöglicht (oder unterdrückt), die frei von Bedrohungen, Urteilen und Marginalisierung ist.
Wichtig ist, daran zu erinnern, dass nicht immer Raum für die sichere und offene Erkundung jeglicher nicht heterosexueller Orientierungen vorhanden ist. In manchen Fällen erfordert die Priorisierung der eigenen körperlichen und emotionalen Unversehrtheit, die eigene sexuelle Orientierung geheim zu halten. Auch das ist legitim. In jedem Fall und Kontext bedeutet der Mangel an nicht heterosexuellen Erfahrungen mit anderen Menschen nicht, dass die intimen Gedanken einer Person unterdrückt werden sollten. Ich selbst bin in die Falle getappt, mich selbst erst dann als bisexuell zu bezeichnen, als ich meine ersten nicht heterosexuellen Erfahrungen gesammelt hatte, obwohl ich schon mein ganzes Leben wusste, dass ich bisexuell bin.
Indem Zweifel ausgeräumt und sexuelle Informationen vorurteils- und stigmafrei zur Verfügung gestellt werden, kann die Lebensqualität von Personen, die aufgrund ihrer Sexualität marginalisiert werden, deutlich verbessert werden.
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